1. Einführung
von Marcus Maurer, Petra Staubach
Urtikaria
Bei einer Urtikaria (medizinisch für Nesselsucht) kommt es zum plötzlichen Auftreten von juckenden Quaddeln der Haut – am ganzen Körper oder nur einem Teil, nach bestimmten Reizen (z.B. Kälte oder Sonnenlicht) oder spontan, d.h. scheinbar ohne besonderen Grund (Abb. 1). Viele Patienten entwickeln außerdem sogenannte Angioödeme, Schwellungen der Haut oder Schleimhäute. Bei einigen wenigen Patienten treten ausschließlich Angioödeme auf und keine Quaddeln. Trotzdem spricht man auch hier von Nesselsucht.
Abbildung 1: Quaddeln bei spontaner Urtikaria
Quaddel
Von Quaddeln spricht man, wenn die Haut aussieht, als wäre man mit Brennnesseln in Berührung gekommen. Der Name Urtikaria leitet sich von der Brennnessel ab (lat. Urtica dioica oder Urtica urens, die Stammpflanzen der Brennnessel); sicher deshalb, weil die Haut bei einer Urtikaria so aussieht, als habe man sich an Brennnesseln „verbrannt“ (Abb. 3).
Abbildung 3: Der Begriff „Urtikaria“ leitet sich von der Brennessel (Urtica) her. (Quelle: Allergie Centrum Charité)
Bei frischen Quaddeln sieht man auf der Haut weißliche kleine Erhebungen mit geröteter Umgebung. Quaddeln bestehen hauptsächlich aus Wasser, das aus den Blutgefäßen in die Haut freigesetzt wurde. Dadurch werden die kleinsten Blutgefäße der Haut zusammengedrückt und können weniger Blut transportieren, sodass die Haut einen weißlichen Farbton annimmt (Abb. 1a).
Abbildung 1a: Quaddeln bei spontaner Urtikaria (Quelle: www.urtikaria.net)
Von sog. Riesenquaddeln spricht man, wenn die Quaddeln zusammenfließen und sich flächenhaft auf der Haut ausbreiten (Abb. 1b).
Abbildung 1b: Quaddeln bei spontaner Urtikaria (Quelle: www.urtikaria.net)
Nicht immer müssen die Quaddeln weißlich und die umgebenden Hautstellen gerötet sein, manchmal ist es genau umgekehrt. Vor allem wenn Quaddeln länger als ein paar Stunden bestehen bleiben, nehmen sie oft einen rötlichbraunen Farbton an, während die Rötung der Umgebung nachlässt. Die Quaddeln der Urtikaria dauern Minuten bis Stunden an, bei manchen Patienten selten auch länger als einen Tag. Sie verschwinden, ohne an der Haut sichtbare Folgeschäden zu hinterlassen.
Angioödem
Einfach ausgedrückt ist ein Angioödem eine Quaddel der tieferen Hautschichten. Während bei der Quaddel direkt unter der Hautoberfläche Flüssigkeit aus den Gefäßen austritt, liegt das „Leck“ beim Angioödem tiefer. Der Rand der entstehenden Erhebung ist deshalb weniger gut sichtbar und in der Farbe von normaler Haut oft nicht zu unterscheiden. Angioödeme treten häufig im Gesicht sowie an den Händen und Füßen auf (Abb. 2).
Abbildung 2: Umschriebene Schwellung an der linken Hand. Solche Angioödeme treten bei vielen, aber nicht allen Patienten mit Urtikaria auf. Bei manchen Urtikariapatienten kommt es ausschließlich zu solchen Angioöedemen und nicht zu Quaddeln. Angioödeme sind häufig an Händen und Füßen und im Gesicht zu finden. (Quelle: www.urtikaria.net)
Besonders um die Augen und an den Lippen kommt es wegen der besonderen Beschaffenheit der dort befindlichen Haut leicht zu starken Schwellungen, aber auch im Genitalbereich gibt es diese Symptome. Die Angioödeme können bis zu 2 Tage anhalten. Manchmal empfinden die Patienten auch Schmerzen in dem Bereich, wo die Angioödeme auftreten. Es gibt auch andere Formen von Angioödemen, die länger anhalten und deren Symptome häufig auch in Kombination mit Magen-Darm Attacken auftreten oder/und familiär gehäuft vorkommen. Hier sollte man unbedingt eine weitere Abklärung veranlassen.
Juckreiz
Neben der Tatsache, dass Quaddeln und tiefe Hautschwellungen vor allem im Gesichtsbereich vorübergehend zu ausgeprägten Entstellungen führen können, ist der Juckreiz das größte Problem für Patienten mit einer Urtikaria. Vor allem nächtlicher Juckreiz kann extrem belastend sein, denn er raubt den Schlaf. Besonders schlimm ist der Juckreiz für Patienten, die an einer der Sonderformen der Urtikaria leiden, dem sogenannten symptomatischen Dermographismus (auch Urtikaria factitia genannt). Hier kommt es gerade durch das Kratzen und Reiben der Haut zum Auftreten neuer Quaddeln und weiterem Juckreiz, der Beginn eines Teufelskreises. Kleinste Reizungen der Haut, z.B. unbewusstes Reiben im Schlaf, können regelrechte Juckreizattacken hervorrufen. Patienten berichten dann, sie hätten sich „kaputt gekratzt“. Juckreiz ist ungemein schwer zu ignorieren! Versuchen Sie einmal, sich nicht zu kratzen, wenn es irgendwo juckt (z.B. beim nächsten Mückenstich). Immer wieder auftretender Juckreiz kann (vergleichbar mit immer wieder auftretenden Schmerzen) eine enorme Belastung bedeuten und eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität zur Folge haben.
25 Prozent
Die Urtikaria, auch Nesselsucht genannt, ist eine der häufigsten Erkrankungen der Haut. Im Allgemeinen wird die Bezeichnung „Urtikaria“ bevorzugt, da sie international verständlich ist und weil betroffene Patienten ja nicht wirklich „süchtig“ nach Nesseln oder Quaddeln sind. Ungefähr jeder vierte Mensch entwickelt im Laufe des Lebens eine Urtikaria. Die meisten dieser Episoden dauern nur wenige Tage oder Wochen und sind unproblematisch. Man spricht dann von einer akuten Urtikaria. Weitaus schwieriger zu ertragen ist eine Urtikaria, die über mehrere Monate oder Jahre (mitunter Jahrzehnte) andauert und dann als chronische Urtikaria bezeichnet wird.
Urtikaria – eine Frauenkrankheit?
Fast alle Untersuchungen zu dieser Frage zeigen, dass Frauen tatsächlich häufiger an Urtikaria erkranken als Männer. Für die chronische spontane Urtikaria werden sogar Verteilungen (Frauen zu Männern) von bis zu 2:1 genannt. Erstaunlicherweise ist diese Verteilung bei Kindern nicht zu finden, d.h. Mädchen erkranken ungefähr genauso häufig wie Jungen, wobei es hierzu wenige Daten gibt. Warum mehr erwachsene Frauen als Männer eine chronische spontane Urtikaria entwickeln, ist bisher unklar. Möglicherweise liegt es daran, dass diese Form der Nesselsucht bei Frauen häufig schwerer verläuft, länger andauert oder dass Frauen eine höhere Neigung oder Bereitschaft aufweisen, sich wegen ihrer Beschwerden in ärztliche Behandlung zu begeben. Interessant ist weiterhin, dass Männer von manchen induzierbaren Formen der chronischen Urtikaria häufiger betroffen sind, z.B. der Druckurtikaria; vielleicht, weil die damit verbundenen Beschwerden insbesondere bei starker körperlicher Belastung auftreten und als störend empfunden werden.
Alters- und geographische Verteilung
Eine Nesselsucht kann in jedem Lebensalter auftreten, vom Säuglings- bis ins hohe Alter. Am häufigsten ist die Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen betroffen. Selten kommt es zu einem erstmaligen Auftreten nach dem 70. Lebensjahr. Dagegen ist eine nur wenige Tage anhaltende Nesselsucht bei Neugeborenen nicht ungewöhnlich. Auch was die weltweite Verteilung der Nesselsucht angeht, zeigt sich diese Erkrankung wenig wählerisch: Die Urtikaria ist auf allen Kontinenten der Erde bekannt.
Zahlen und Fakten rund um die Nesselsucht
Die Urtikaria ist eine ausgesprochen häufige Erkrankung. Schätzungsweise jeder vierte Mensch erleidet einmal im Leben eine Urtikaria. Meist handelt es sich dabei um eine akute Urtikaria. Nach vorsichtigen Schätzungen leidet derzeit 1 von 100 Menschen an einer chronisch verlaufenden Urtikaria. Angaben zur durchschnittlichen Krankheitsdauer sind rar und oft widersprüchlich (die Urtikaria ist eine sehr sprunghafte Erkrankung). Häufig dauert eine chronische Urtikaria mehrere Jahre. Es gibt auch Patienten, die eine jahrzehntelange Bestandsdauer berichten. Eine individuelle Vorhersage ist nicht möglich. Wichtig ist zu wissen, dass die chronische Urtikaria bei so gut wie allen Patienten irgendwann von allein verschwindet. Das heisst, Urtikaria kommt spontan und geht sehr häufig spontan. Anders als bei Neurodermitis oder Schuppenflechte wird die Bereitschaft diese Erkrankung zu entwickeln nicht vererbt.
Auslöser
Quaddeln und Juckreiz können durch viele verschiedene Substanzen ausgelöst werden. Viele dieser Substanzen werden vom Körper selbst produziert und wirken „von innen“ auf die Haut. Es gibt aber auch zahlreiche Stoffe in unserer Umwelt, die die Haut zum Jucken und Quaddeln bringen. Den meisten dieser Stoffe ist gemeinsam, dass sie den Gewebebotenstoff Histamin freisetzen, dem eine Schlüsselrolle bei der Auslösung von Quaddeln, Juckreiz und Angioödemen zukommt. Sehr deutlich zeigt sich dieser Juckreiz und Quaddeln auslösende Effekt des Histamins z.B. nach einem Insektenstich oder nach dem Kontakt mit Brennnesseln. Neben Substanzen, die körpereigenes Histamin freisetzen, ist in dem Gift vieler Insekten und auch Juckreiz auslösender Pflanzen Histamin enthalten, das in die Haut eindringt und diese reizt. Dieser Reiz wird von spezialisierten Nerven (man könnte auch sagen „Juckreiznerven“) wahrgenommen. An das Gehirn, die Nervenschaltzentrale, wird gemeldet: Hier juckt etwas! Das ist in vielen Fällen gar nicht schlecht. Bei Insektenstichen oder nach dem Kontakt mit juckenden Pflanzen führt Juckreiz dazu, dass wir die Haut kratzen, unter kaltem Wasser kühlen (und damit den Auslöser beseitigen) oder reiben (wodurch mehr Blut an die Stelle der Reaktion gelangt und die Reizstoffe oder Gifte schneller mit dem Blutstrom abtransportiert werden können). Nahezu das gesamte Histamin der Haut wird in einer bestimmten Zellart gespeichert, den sog. Mastzellen. Werden diese Zellen aktiviert, d.h. durch einen Reiz „geärgert“ (und es gibt eine Menge von Reizen, die das tun), dann setzen die Mastzellen ihr Histamin in die Hautgewebe frei, und es kommt zu Quaddeln und Juckreiz.
Die Mastzelle als Schlüsselzelle der Urtikaria
Allen Formen der Urtikaria ist ein Vorgang gemeinsam: Durch die Aktivierung von Mastzellen in der Haut kommt es zur Freisetzung von Histamin (Abb. 4) und vielen anderen entzündungsauslösenden Faktoren, z. B. Leukotrienen oder dem Plättchen-aktivierenden Faktor (PAF).
Abbildung 4: Mastzellen (dunkelblau) – die Zellen, die urtikarielle Beschwerden auslösen. (Quelle: Allergie Centrum Charité)
Diese Faktoren führen dann zu einer Erweiterung der Blutgefäße in der Haut mit darauf folgender Schwellung und Rötung sowie Juckreiz. Mastzellen sind eigentlich die „Feuerwehr“ oder die „Grenzpolizei“ des menschlichen Körpers. Sie sind besonders häufig dort anzutreffen, wo wir mit unserer Umwelt in unmittelbarem Kontakt stehen, also neben der Haut auch in den Schleimhäuten des Magen- Darm-Traktes und der Atemwege. Hier erfüllen sie für den Körper lebenswichtige Funktionen: So werden gefährliche Angreifer wie Bakterien oder Parasiten erkannt und unschädlich gemacht – sei es, weil die Mastzellen den Angreifern das Vordringen in den Körper erschweren, weil sie ihre Gifte neutralisieren, weil sie die Angreifer töten und auffressen oder weil sie Zellen des Immunsystems, also des Abwehrsystems unseres Körpers, alarmieren und an den Ort des Geschehens lotsen.
Die hohe Zahl von Mastzellen in der Haut und in den Schleimhäuten des menschlichen Körpers ist ein Grund dafür, dass sich die Urtikaria besonders an diesen Stellen bemerkbar macht. Die Aktivierung der Mastzellen in den oberen (äußeren) Haut- und Schleimhautschichten führt zu Quaddeln, die der unteren (tieferen) Hautschichten zu tieferen Schwellungen (Angioödemen). Eine Aktivierung der Mastzellen in den Schleimhäuten des Rachens und der Atemwege kann Schluckbeschwerden und Atemnot erzeugen, die der Schleimhäute des Magen-Darm- Traktes führt zu Bauchschmerzen, Übelkeit und Durchfall.
Quaddeln und Angioödeme entstehen dadurch, dass die kleinsten Hautgefäße an der betroffenen Hautstelle „undicht“ werden. Die Abstände zwischen den Zellen, die die Wände von Blutgefäßen bilden, werden größer, so dass aus dem Gefäßinneren Blutflüssigkeit und auch einige Blutzellen in das umliegende Gewebe austreten können. Neben dem Histamin erhöhen auch Leukotriene, PAF und weitere Mastzellprodukte die Durchlässigkeit von Blutgefäßen. Die Tatsache, dass Juckreiz stillende Mittel bei der Nesselsucht in vielen Fällen funktionieren, erklärt sich dadurch, dass diese Medikamente gezielt die Wirkung von Histamin blockieren. Deshalb heißen diese Medikamente auch Antihistaminika. Antihistaminika sind seit Jahrzehnten erprobt und bewährt. Sie sind im Allgemeinen sehr gut verträglich, schwere Nebenwirkungen sind ausgesprochen selten. Früher haben Antihistaminika sehr oft müde gemacht. Bei den modernen Antihistaminika der 2. Generation wurde diese Nebenwirkung weitgehend „weggezüchtet“. Wenn also im folgenden Text von „Antihistaminika“ die Rede ist, sind damit die modernen, nicht-müde-machenden Antihistaminika der 2. Generation gemeint. Die Tatsache, dass Antihistaminika bei der Urtikaria nicht in allen Fällen helfen, weist darauf hin, dass Histamin nicht der einzige Juckreiz und Quaddeln auslösende Stoff ist, der hier eine Rolle spielt.
Aussehen der Haut
Typisch für die Urtikaria ist das stark wechselnde Aussehen der Haut, das viele Patienten immer wieder so beschreiben: „Abends ist die Haut noch vollkommen normal, am nächsten Morgen sieht sie aus wie ein Streuselkuchen, und man hält es vor Juckreiz kaum noch aus, und wenn man am späten Vormittag endlich beim Doktor ist, ist nichts mehr zu sehen“. Die Nesselsucht tritt meist täglich auf, kann aber auch weniger häufig mit symptomfreien Intervallen abwechselnd auftreten. Während eines Schubes sind am häufigsten Quaddeln zu sehen, aber auch Rötungen und tiefe Hautschwellungen (Angioödeme) sind nicht selten. Bei der Hälfte aller Patienten mit Urtikaria kommen sowohl Quaddeln als auch Angioödeme vor. Etwa 40% der Patienten mit Nesselsucht bekommen ausschließlich Quaddeln, weniger als 10% ausschließlich Angioödeme. Es ist noch nicht bekannt, warum die Urtikaria bei denjenigen Patienten, die auch tiefe Hautschwellungen aufweisen, häufig länger dauert und öfter einen schwereren Verlauf nimmt.
Beschwerden
Am schlimmsten für Urtikariapatienten ist der oft unerträgliche Juckreiz, der als ungemein quälend empfunden wird. Wenn man sich vorstellt, dass wir, wenn wir nur an einer Stelle von einer Brennnessel berührt werden oder uns eine Mücke sticht, für eine ganze Weile an nichts anderes denken können, als an den damit verbundenen Juckreiz, ist verständlich, dass Patienten, die am ganzen Körper diesen Juckreiz über Tage, Monate und Jahre empfinden, fast „durchdrehen“ und keinerlei Lebensqualität mehr haben. Dazu kommt, dass sich der menschliche Körper – anders als an andere Reize wie z.B. Wärme oder Druck – an Juckreiz nur schlecht gewöhnt. Der Juckreiz bei Nesselsucht will übrigens (anders als der Juckreiz bei z.B. Neurodermitis) gerieben und nicht gekratzt werden, d.h. durch Fingernägel aufgekratzte Haut findet sich selten. Oft wird dagegen berichtet, dass die juckenden Hautstellen mit den Fingerkuppen für lange Zeit „gerubbelt“ werden müssen. Fast immer wird die betroffene Haut als heiß und nach dem Abklingen eines Schubes als trocken empfunden. Gelegentlich berichten Patienten auch über ein Brennen der Haut oder über regelrechte Schmerzen bei Angioödemen in den befallenen Hautstellen (Abb. 5).
Abbildung 5: Gelegentlich können Quaddeln auch brennen oder schmerzen. Quelle: (Quelle: Allergie Centrum Charité)
Weitere Beschwerden
Viele Patienten klagen, dass während eines Quaddelschubes Kopf- oder Gelenkschmerzen auftreten. Hier ist als Erstes zu klären, ob die Quaddeln, der Juckreiz oder die Schwellungen nicht eine Folge der Schmerzbehandlung darstellen und z.B. durch die Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS, z.B. in Aspirin®), oder anderen, chemisch verwandten Medikamenten (z.B. Diclofenac, Ibuprofen) ausgelöst wurden – viele Medikamente können bekanntermaßen zu einer Nesselsucht führen oder eine Nesselsucht auslösen (s. Abschnitt „Akute Spontane Urtikaria“). Patienten, die unter einer Nesselsucht leiden, sollten an Stelle von Acetylsalicylsäure, Diclofenac, oder Ibuprofen ein anderes Schmerzmittel z.B. Paracetamol einnehmen. Schmerzen können aber auch auf eine Entzündung hinweisen: Es ist bekannt, dass chronische, d.h. über einen längeren Zeitraum bestehende Entzündungen im Körper, die nicht immer direkt Symptome machen, eine Nesselsucht unterhalten können. Kopf- und Gelenkschmerzen können aber auch Beschwerden der Urtikaria sein, möglicherweise durch die Freisetzung großer Mengen von Histamin und anderen Stoffen ausgelöst.
Ähnliche Krankheitsbilder
Eigentlich ist die Nesselsucht nur schwer mit anderen Erkrankungen zu verwechseln. Das liegt daran, dass die Hauterscheinungen bei der Nesselsucht – die Quaddeln und die tieferen Schwellungen der Haut – sehr charakteristisch sind. Sie sind immer flüchtig, d.h. sie bestehen nur für kurze Zeit (Quaddeln: Minuten, einige Stunden, Angioödeme: Stunden bis zwei Tage). Quaddeln und Schwellungen heilen ab, ohne an der Haut sichtbare Folgen zu hinterlassen. Es entstehen also keine Narben oder Krusten, und es kommt nicht zu Einblutungen. Bereits damit unterscheidet sich die Nesselsucht von den meisten anderen Hauterkrankungen. Tritt nun zusammen mit den Quaddeln und/oder den Schwellungen der charakteristische Juckreiz auf, sollte die Diagnose einer Nesselsucht keine Probleme mehr bereiten. Trotzdem muss daran gedacht werden, dass gelegentlich auch andere Erkrankungen als die Urtikaria für das Auftreten von Quaddeln und/oder Angioödemen verantwortlich sein können.
Kommt es ausschließlich zu wiederkehrenden Angioödemen (ohne Quaddeln), dann könnte die Einnahme eines Blutdrucksenkers (vor allem ACE-Hemmer) dahinterstecken, in sehr seltenen Fällen gibt es auch vererbbare Erkrankungen, deren typische Symptome Angioödeme sind, z.B. ein hereditäres Angioödem (HAE) Auch hier treten immer wieder Hautschwellungen auf, vor allem im Gesichtsbereich. Die meisten Patienten mit HAE leiden darüberhinaus auch an sehr schmerzhaften Schwellungen im Bauch. Diese Angioödeme werden nicht durch Histamin ausgelöst, sprechen dadurch auch nicht auf Antihistaminika an, sind in ihrer Symptomatik schwerwiegender und länger anhaltend. Der Juckreiz fehlt vollständig. Kommt es ausschließlich zu wiederkehrenden juckenden Quaddeln (aber nicht zu Angioödemen) könnte hierfür ein auto- inflammatorisches Syndrom verantwortlich sein, wobei dies sehr selten der Fall ist. Autoinflammatorische Syndrome lassen sich durch einfache Tests leicht feststellen und in der Regel auch gut behandeln. Weiterhin kann auch eine Urtikariavaskulitis, ebenfalls eine sehr seltene Erkrankung, für wiederkehrende Quaddelschübe verantwortlich sein. Bei der Urtikariavaskulitis bleiben die eher brennenden als juckenden Quaddeln länger als einen Tag bestehen und hinterlassen nach dem Abheilen mitunter eine bräunliche Verfärbung der Haut. Quaddeln können aber auch gemeinsam mit anderen Symptomen wie Blasen einhergehen. Bei allen diesen sogenannten Differenzialdiagnosen muss unbedingt eine weitere Abklärung erfolgen und ein Arzt/Dermatologe aufgesucht werden.
Die Nesselsucht wird nach zwei verschiedenen Gesichtspunkten eingeteilt. Zunächst erfolgt die Einteilung nach der Dauer in akut (weniger als 6 Wochen anhaltend) und chronisch (länger als 6 Wochen anhaltend). Die chronische Form wird weiter unterteilt in die chronische spontane Urtikaria und die chronische induzierbare Urtikaria. Induzierbar ist eine Urtikaria immer dann, wenn die Quaddeln sich gezielt auslösen lassen. Bei einer physikalischen Urtikaria, der größten Gruppe der induzierbaren Urtikaria, ist dies durch das Einwirken physikalischer Reize, wie zum Beispiel Wärme, Kälte, Licht oder Druck möglich. Das Einwirken dieses Reizes auf die Haut führt an der betroffenen Stelle zur Quaddelbildung. Bei der Kontakturtikaria, einer weiteren Form der induzierbaren Urtikaria, führt der Hautkontakt mit bestimmten Substanzen zur lokalen Quaddelbildung, also zum Beispiel das Berühren von Brennesseln oder der Kontakt zu einem Stoff, auf den man allergisch reagiert. Dadurch, dass die Quaddeln auf die Hautregionen begrenzt sind, auf die der Reiz eingewirkt hat, ist die Verteilung der Quaddeln nicht zufällig, sondern sie bilden oft Muster, die auf den Auslöser schließen lassen. So finden sich z.B. bei der Lichturtikaria die Quaddeln nur an belichteten Stellen, während die unbelichteten Stellen gleich daneben völlig erscheinungsfrei sind. Bei der cholinergischen Urtikaria, einer häufigen Form der induzierbaren Urtikaria, führt die Erhöhung der Körperkerntemperatur zur Quaddelbildung, dabei ist es unerheblich, ob dies durch körperliche Anstrengung erfolgt oder beispielsweise ein heisses Vollbad. Alle induzierbaren Formen können auch in Kombination mit einer spontanen Urtikaria auftreten.
Im Gegensatz zu den eben genannten induzierbaren Formen entstehen die Quaddeln bei den spontanen Formen „von ganz alleine“. Die Hautveränderungen treten also ohne Zutun des Patienten an allen möglichen Hautstellen auf, und die Begrenzungen der Quaddeln sind rein zufällig. Stress und Wärme können die Entstehung begünstigen, sie sind aber für das Auftreten von Beschwerden nicht unbedingt notwendig. Die mit Abstand häufigste Form ist die akute spontane Urtikaria. Etwa jeder vierte Mensch ist zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens einmal davon betroffen. Zum Glück verschwinden die Beschwerden bei den allermeisten Menschen nach nur einigen Tagen oder wenigen Wochen wieder. Halten die Beschwerden länger als 6 Wochen an, spricht man von einer chronischen Urtikaria. Diese kann mehrere Monate oder Jahre (mitunter Jahrzehnte) andauern. Schon allein deswegen gibt es viele Patienten.
Die Mehrzahl der Patienten mit einer chronischen Urtikaria leidet unter einer chronischen spontanen Urtikaria. Weniger häufig finden sich die induzierbaren Formen der Urtikaria. In dieser Gruppe leiden die meisten Patienten an symptomatischem Dermographismus (auch Urticaria factitia) oder an Kälteurtikaria. Die aquagene Urtikaria (durch Wasser ausgelöst) oder das vibrationsinduzierte Angioödem sind absolute „Raritäten“. In der folgenden Tabelle sind alle Formen der Urtikaria gemäß dieser Einteilung aufgezählt.
Akut | Chronisch | Chronisch |
Akute spontane Urtikaria | Chronische spontane Urtikaria | Chronische induzierbare Urtikaria |
Spontanes Auftreten von Quaddeln, Angioödemen oder beidem für weniger als 6 Wochen aufgrund bekannter oder unbekannter Ursachen | Spontanes Auftreten von Quaddeln, Angioödemen oder beidem für mehr als 6 Wochen aufgrund bekannter oder unbekannter Ursachen | Physikalische Urtikaria Cholinergische Urtikaria (häufig) Kontakturtikaria (häufig) 1auch Urticaria factitia oder Dermographische |
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